Alberto Allegrezza im Interview

Wenn sich der Vorhang zum ersten Mal hebt, steigt bei ihm die Aufregung, denn dann müssen die jungen Talente, die im vergangenem Jahr erfolgreich am Cesti-Wettbewerb teilgenommen haben, sein Konzept umsetzen. Alleskönner Alberto Allegrezza übernimmt die Regie der Produktion der Barockoper:Jung «L’amazzone corsara». Darüber hinaus entwirft er auch das Bühnenbild und die Kostüme.
Du warst schon in der Vergangenheit in Innsbruck in der Opernproduktion „La Dori“ von Pietro Antonio Cesti. Gibt es eine Erinnerung, die dich auch jetzt noch zum Schmunzeln bringt?
Für mich war es eine wirklich sehr schöne Produktion und ich erinnere mich mit großer Zuneigung und Emotion weil es war für mich eine sehr intensive Zeit und eine sehr schöne Möglichkeit in Innsbruck arbeiten zu können vor allem mit Stefano Vizzioli und Ottavio Dantone. Auch in Bezug auf diese Zusammenarbeit war es sehr emotional für mich. Aber ich hatte auch sehr viel Spaß, weil die Rolle der „Dirce“ eine Rolle war, die absolut ein Teil meiner komischen und theatralischen Seiten ist, und ich wusste genau wie ich diese Rolle führen musste. Und dann war da natürlich auch Vizzioli, der mir eine gewisse Ausdrucksfreiheit ließ und er auch meine Vorschläge sammelte und in seine Regie aufnahm. Für mich war es also eine sehr stimulierende und sehr schöne Erfahrung. Eine weitere schöne Erinnerung ist, dass ich sehr viele, sehr gute Sänger kennenlernen durfte, wo sich auch eine Gruppengemeinschaft gebildet hatte und auch ein Zugehörigkeitsgefühl vermittelte. Und das kann man nicht kreieren, das passiert einfach. Und in diesem Fall war es so, und das war sehr schön.
Hoffen wir also, dass die Rückkehr nach Innsbruck gefüllt sein wird mit ebenfalls solchen Erfahrungen.
Ja hoffen wir es! Ich versuche aber auch immer in diesem Sinn zu arbeiten weil wenn die Gruppe herzlich miteinander umgeht, arbeitet man besser zusammen und das Spektakel/ die Produktion hat einen chorischen Atem, und das ist mir unglaublich wichtig.
Du bist ja eigentlich Musiker, Sänger, Flötist, Instrumentalist und kommst von einer anderen Richtung. Wie bist du dazu gekommen jetzt als Regisseur zu arbeiten?
Für mich war das eine stetige Entwicklung. Ich bin Instrumentalist; in meiner Kindheit spielte ich sogar Klarinette, dann habe ich Blockflöte studiert und das Studium abgeschlossen und dann habe ich mit dem Gesang weitergemacht. Dieser ist natürlich anschließend geprägt worden durch theatralische Produktionen und vor allem durch die „Commedia dell’Arte“, also die Rezitation mit Maske und den typischen Charakteren der Commedia dell’Arte. Deshalb war es für mich wirklich eine Entwicklung meines Weges. Vor allem als ich mich angefangen habe für die Antike Kunst zu interessieren, war es sehr wichtig eine Situation zu finden, die alle meine Erfahrungen vereint, die ich bis jetzt gesammelt habe, und so ein Spektakel zu kreieren fasst alle diese Erfahrungen zusammen. 2003 arbeitete ich zum ersten Mal als Regisseur. Ich habe in Vicenza studiert und in diesem Sommer gab es die Möglichkeit ein Spektakel/eine Produktion in der Basilica di Palladiana aufzubauen, beruhend auf einer Komödie von Gian Battista Andreini, einen Komiker aus dem 17. Jahrhundert. Die Komödie hieß „amor nello specchio“ (Die Liebe im Spiegel). Ich habe tolle Erinnerungen an diese Erfahrung weil ich mit sehr vielen Freunden und Kolleg*Innen des Konservatoriums und der Kompanie zusammen gearbeitet habe, bei der ich Mitglied war. Es war eine sehr positive Erfahrung, die mir einen Vorgeschmack für die Arbeit innerhalb einer {Theater-}Kompanie des 16. oder 17. Jahrhunderts gab. Danach gab es sehr viele Erfahrungen, die aber mehr die Musik im Fokus hatten. Ich führte Regie, vor allem bei diversen Opern (Charpentier: Actéon, Monteverdi: L’incoronazione di Poppea etc.). Ich habe dann auch meine Kompanie gegründet, mit der ich mich hauptsächlich polyphoner Musik des 16. Jahrhunderts gewidmet habe. Auf diesem Wege hat es mich immer weitergeführt, denn es erlaubt mir praktisch diese Erfahrungen zu vereinen. Ich finde dies auch sehr wichtig, vor allem in der Sprache des 16./17. Jahrhunderts.
Ich freue mich auch auf die Zusammenarbeit mit den jungen Musiker*innen!
Die Regiearbeit vereint also alle deine Fähigkeiten. Aber du bist ja in einer Produktion nicht nur als Regisseur tätig, sondern teilweise kreierst du auch das Bühnenbild, die Kostüme, die Maske. Was fasziniert dich daran alles alleine in die Hand zu nehmen, denn es ist ja ein unglaublicher Arbeitsaufwand, nicht wahr?
Ja das stimmt, es ist wirklich ein enormer Arbeitsaufwand und nicht immer sehr leicht. Vor allem die kreative Arbeit am Anfang braucht wahnsinnig viel Zeit, denn um ein bestehendes Werk in eine bestimmte Situation bzw. Zeit zu stellen und die Charaktere und die Kostüme kreieren zu können, muss man sich intensiv mit dem Text und dem damit verbundenen Inhalt beschäftigen.
Es gibt Phasen in denen ich mir die gesamte Produktion vorstelle, aber es gibt dann auch Etappen, die ich an sich respektieren muss, also die Konzeption der Produktion, der Entwurf für die Kostüme und der Regie, dann die Realisation der Kostüme und am Ende die Proben und dann die Inszenierung generell, und auch die Barocken Gesten, denen ich mich in Recherchearbeit widme. Ich muss sagen, dass es nicht immer leicht ist, aber es ist mein Weg mich der Oper dieser Zeit zu widmen, weil diese künstlerische Osmose aller Disziplinen begegnet man auch oft in den antiken Komödien des 16. Jahrhunderts. Weil die Mitwirkenden damals waren nicht nur Schauspieler, wie wir es heute annehmen, sondern waren Sänger*innen, Musiker*innen, Tänzer*innen, aber auch die Komponisten selbst waren Sänger*innen, Tänzer*innen, ich denke da zum Beispiel an Emilio di Cavalieri, der Tänzer war, oder an Virginia Ramponi, die eine Komikerin war. Diese erste Phase des 16. Jahrhunderts, am Hof der Gonzaga in Mantua haben zusammengearbeitet. Das war also Virginia Ramponi, Claudio Monteverdi, Gian Battista Andreini, der Ehemann von Virginia Ramponi, Ottavio Rinuncini, der Maler Domenico Fetti etc. haben also zusammengearbeitet um Produktionen zu kreieren mit/aus verschiedenen Sprachen und Richtungen. Und diese Tatsache fasziniert mich sehr und inspiriert mich sehr.
Hast du dich also an dieser Vorgehensweise orientiert?
Ja definitiv, das ist wirklich eine sehr große Inspiration für mich. Zu verstehen wie diese verschiedenen Produktionen damals entstanden; also eine theatralische Produktion mit oder ohne Musik, und auch diverse Intermezzi gesungen oder getanzt. Für mich war es sehr interessant, denn es ist ein Weg sich an den Zeitgeist dieser Epoche anzunähern, und der Realität, die ich auch studiere…. Also wir sind es gewohnt alles zu trennen: die Musiker, die Schauspieler, die Sänger, die Kostümbildner. Ich sage nicht, dass es immer nötig ist alles zu können bzw. zu wissen wie es gemacht wird, aber es hilft auf jeden Fall eine realitätsnahe Produktion dieser Zeit zu schaffen.
Vielleicht auch eine authentischere Produktion zu schaffen?
Ja vielleicht, aber es ist natürlich schon eine andere Stilsprache, die damals verwendet wurde, eine für uns weit entfernte Stilsprache. Trotzdem aber glaube ich nicht, dass man diese deshalb disqualifizieren müsste, weil es gibt immer Botschaften aus dieser „Realität“, die man dem Publikum übermitteln kann, und dieses versteht die Botschaften, auch wenn diese schon uralt sind. Die Themen von damals berühren uns auch heute noch, denn es sind eigentlich immer dieselben. Die Schönheiten des Spektakels/der Produktion berühren uns an sich heute immer noch und das ist meiner Meinung nach eine wichtige Botschaft.
Du definierst dich als „antiker Schauspieler der Kunst“. Was bedeutet das an sich und vor allem bezogen auf die Annäherung zum Theater?
Ich sehe mich nicht als „Komiker“ [Comico dell’arte] der Antike aber mein Tun ist inspiriert von der künstlerischen Ganzheitlichkeit, die in dieser Zeit entstand und die auch von den Komikern der damaligen Zeit beeinflusst wurde. Über das haben wir ja schon gesprochen, denn sie konnten viele Bereiche abdecken und mit ihren Kompanien waren sie überall unterwegs. Sie brachten diese Theateraufführungen überall hin und machten praktisch alles; sie sangen, sie tanzten, sie spielten, sie rezitierten etc. es waren also zusammengesetzte und sehr abwechslungsreiche Produktionen. Und das ist für mich ein großer Inspirationsbrunnen, aber dieser Ansatz wurde von mir auch trainiert durch gezieltes Studieren/Üben. Und natürlich muss dann alles zusammenwirken aber jede Disziplin hat die Berechtigung und Notwendigkeit vertieft zu werden. Zum Beispiel hat der Rezitationsteil seine eigene Technik, harmonisiert wird dieser Teil dann durch die Technik des Gesangs oder auch durch die Instrumente, und so schafft man dann eine abwechslungsreiche und Produktion.
Wie schwierig ist es für dich jedem dieser Sektoren die schon von dir erwähnte nötige Aufmerksamkeit und Tiefe entgegenzubringen?
Bevor ich Musik zu studieren anfing, besuchte ich eine Modeschule um Modedesigner zu werden. Und dort habe ich gelernt Modelle zu erstellen, zu schneidern, und auch anzufertigen. Mit der Zeit habe ich dann entdeckt, dass dieser Weg nicht der Richtige ist für mich aber alles was ich gelernt habe konnte ich auch in meiner nun entwickelten Leidenschaft präsentieren, aber natürlich hat sich diese Möglichkeit erst mit der Zeit ergeben.
Heute sind wir ein bisschen benachteiligt. Denn damals sangen alle Sänger, und spielten alle Musiker ihre eigene Musik, also jene, die damals modern und zeitgenössisch war, während wir heute zum Beispiel als Sänger von der Gregorianik bis Mozart alles singen können. Es gib also eine enorm große Bandbreite an Stilen, Annäherungen und Sprachen und für uns heute auch damit verbundenen Schwierigkeiten, denn es gibt natürlich auch zahlreiche Verbindungen zur Literatur, verschiedene Instrumente der damaligen Zeit bzw. aller dieser Epochen. Man müsste also eine Zeitspanne aussuchen, in der man eine ausgedehnte Recherche durchführen kann. Meine dafür gewählte Zeitspanne ist das 5. 16. uUnd 17.6. Jahrhundert und in diesem Umkreis schaffe ich mich mit diversen Themen auseinanderzusetzen, das aber natürlich immer trotzdem mit einer gewissen Schwierigkeit verbunden ist.
Wenn ich selbst auf der Bühne stehe versuche ich all mein Wissen auch auf der Bühne anzuwenden. Wenn ich aber als Regisseur arbeite, ist das natürlich ein bisschen eine andere Situation, denn vieles ist dann schon eingeschränkt, das macht es einfacher sich dem zu nähern und damit umzugehen.
In welchem Ausmaß beeinflusst dich deine Erfahrung als Sänger, wenn du als Regisseur arbeitest und wie begegnest du den Sänger*innen?
Im Grunde versuche ich die Arbeit zu erleichtern, denn ich weiß ganz genau was ein/e Sänger*in in einer Szene machen kann und was nicht. Und bestimmte Dinge würde ich nie von einem Sänger verlangen, denn ich würde mich selbst nicht wohlfühlen. Das heißt durch meine Erfahrung versuche ich unmögliche Dinge nicht zu verlangen. Aber ich weiß natürlich auch, was möglich ist.
Die Sänger*innen sind dir dafür wahrscheinlich sehr dankbar!
Ja wahrscheinlich… (lacht)
Manchmal sind aber trotzdem ein paar Schwierigkeiten, weil zum Beispiel ist es mir manchmal passiert mit Sänger*innen zu arbeiten, die noch Studierende waren. Diese hatten noch die Notwendigkeit sich zu Gunsten ihrer Stimmtechnik zu positionieren, aber dies war unmöglich mit der szenischen Arbeit zu vereinen. Ich bat zum Beispiel singend zu grinsen, und der Sänger antwortete, dass er nicht während des Singens lächeln kann, weil er die Stimme führen müsse. Natürlich muss die Technik die Basis sein, und dann durch den Ausdruck der dazu kommt, sollte die Basis trotzdem bestehen bleiben. Als Sänger weiß ich aber, dass das möglich ist und deshalb verlange ich auch die Dinge, die möglich sind. Ich versuche also für die Sänger immer verfügbar (offen) zu sein, aber möchte auch, dass die Sänger*innen für mich verfügbar (offen) sind im Hinblick auf meine Regiearbeit.
In der Produktion „L’amazzone corsara“ wirst du auch mit jungen Talenten zusammenarbeiten. Was möchtest du ihnen auf den Weg mitgeben?
Was ich bis jetzt beim Cesti Wettbewerb 2021 gehört habe, stimmt mich sehr positiv, denn sie sind alle sehr talentiert und gut vorbereitet. Und ich weiß, dass sie alle eine super Arbeit machen werden. Ich freue mich schon sehr darauf, denn ich glaube es wird eine schöne Erfahrung für mich aber auch für sie werden.
Arbeitest du lieber mit jungen Personen oder mit erfahreneren Personen zusammen?
Ich liebe es sehr mit jungen Stimmen zu arbeiten, wobei … auch mit den professionellen Sänger*innen, die nicht mehr im aktiven Business tätig sind, arbeite ich gerne.
Aber die jungen haben oft den Willen und den Ehrgeiz alles richtig zu machen und sich ins Spiel zu werfen. Mit den erfahreneren Personen ist das öfters etwas schwieriger. Aber ich will niemanden generalisieren, denn es ist nicht immer so aber eigentlich arbeite ich lieber mit jungen Stimmen…
Die Barockoper:Jung Produktion ist in dem Fall perfekt für dich.
Ja, das ist sie wirklich.
Könntest du uns bereits einen kleinen Tipp geben in welche Richtung die Inszenierung der Oper „L‘amazzone corsara“ gehen wird?
Ja gern, allerdings bin ich noch mitten im Entwicklungsprozess, ich informiere mich noch, ich entwerfe und beschäftige mich sehr damit, deshalb ist es noch nicht fertig und es dauert noch etwas. Aber ich kann folgendes sagen: Die Ausstattung der Kostüme und der Bühne ist inspiriert von der Ikonographie der damaligen Zeit. Die Oper wurde1686 uraufgeführt und an diese Zeit lehne ich mich bzgl. der Kostüme und des Bühnenbildes an. Zum Beispiel habe ich die Entwürfe von Bornaccini und Torelli im Kopf. Diese Entwürfe sind historische Entwürfe und haben aber ein Schönheitsideal das mit der Szene/der Bühne verbunden ist.
Und ich versuche eine Verbindung zu schaffen zwischen dieser theatralischen Sprache und der damaligen Mode. Von Seiten der Regie lehne ich mich an ein Traktat von Andrea Perucci an, der Regisseur Ende des 17. Jahrhunderts war. Und dieses Traktat handelt von der repräsentativen Kunst und man findet sehr viele Notizen und Hinweise zur damaligen Aufführung, zum Beispiel zum Einsatz von Masken oder Ähnlichem.
Das Libretto von Corradi ist schon alleine sehr unterhaltend, es ist voll von Scherz und Überraschungen, mit bizarren Persönlichkeiten, die durch die Musik von Pallavacino – die sehr schön ist – noch verstärkt und betont werden. Aufgrund von diesen Voraussetzungen denke ich, dass es eine Produktion mit sehr viel Bewegung sein wird und lebhaft sein wird.
Mir würde es auch gefallen, weil ich das junge Alter der Sänger*innen gesehen habe, ein szenisches gemeinschaftliches „Spiel“ zu kreieren, das reich an Unterhaltung und Witz ist.
Warum sollte man „L‘amazzone corsara“ unbedingt gesehen habe?
Zunächst ist es ein unbekanntes Werk und unbekannte Dinge müssen entdeckt werden um einen Vergleich bzw. eine Idee eines Repertoires zu haben, das man eigentlich nicht kennt. Denn um etwas wertzuschätzen muss man es vorher kennenlernen, vielleicht schätzt man es auch nicht aber es ist eine kulturelle Frage. Es ist wie beim Essen: Wenn ich etwas noch nie gegessen habe, muss ich es kosten, damit ich weiß ob es mir schmeckt oder nicht. Das ist meine persönliche Einstellung und Kultur. Und mit L’amazzone corsara ist es genau so: Ein unbekanntes Werk wird bekannt. Außerdem ist die Musik wunderschön und das Libretto wirklich unterhaltsam, zusätzlich singen und spielen viele junge Leute. Es gibt also viele gute Motive um die Oper zu sehen.
Auf was freust du dich am meisten bei dieser Produktion?
Ich freue mich riesig nach Innsbruck zurückzukehren, und Teil eines Festivals zu sein, das ein Leuchtturm in Europa ist vor allem in Bezug auf die Barockoper, denn es werden nicht viele unbekannte Barockopern aufgeführt in Europa. Also das ist eine riesige Freude für mich!
Und ich freue mich auch auf die Zusammenarbeit mit den jungen Musiker*innen!